Zum Leben berufen
Welch ein Winter! Lang, verregnet und kalt war er. Doch endlich wärmen mich ab und zu wieder einige Sonnenstrahlen. Dann fühle ich mich lebendig und froh.
Im vergangenen Herbst hatte ich im Garten Zwiebeln gesetzt. Schneeglöckchen, Krokusse, Osterglocken … . Die Blumenzwiebeln waren lange Zeit in der Erde. Eines Tages – zur rechten Zeit – würden sie austreiben, so hoffte ich. Und tatsächlich: Vor einigen Tagen kamen behutsam, aber doch mit Kraft, kleine grüne Hälmchen aus dem Boden hervor, die sich gen Himmel streckten, dem Licht entgegen. Ich musste schon genau hinschauen, um mich zu vergewissern: Ja, da wachsen die Blumen, die ich gesetzt hatte. Frühblüher. Und nichts konnte sie aufhalten. Und wachsen und wachsen und blühen schließlich auf. Darauf hatte ich so lange gewartet! Auf Farbe, auf Leben.
Noch ist es kalt draußen. Noch ist Winter, während ich diese Zeilen schreibe. Aber bereits jetzt blüht uns neues Leben. Die Zwiebeln überdauerten den Winter. Sie trotzen der Kälte und warteten geduldig, bis ihr Schöpfer sie zum Leben berief. Geheimnisvoll und unseren Augen zunächst verborgen. Sie tragen in sich die Kraft, die Leben schafft – Auferstehungskraft.
Für mich ist das ein schönes Bild für meinen Glauben an Jesus und für die christliche Auferstehungshoffnung. Nein, Gewissheit. Im Hebräerbrief Kapitel 11, 1 heißt es: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Als ich die Blumenzwiebeln in die Erde steckte, hoffte ich, dass sie aufgehen würden ohne es schon zu sehen. Das ist Glaube. Und ich erinnere mich an die Worte des Apostels Paulus im 1. Brief an die Korinther, Kapitel 15, Verse 42-44: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Armseligkeit und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.“
Als Trauerrednerin habe ich viel mit Abschieden zu tun. Dabei denke ich immer an das Leiden und Sterben Jesu sowie an eigenes Leiden und Sterben, das mir irgendwann einmal bevorstehen wird. Jesus starb einen grausamen Tod. Zu seinen Jüngern sagte er einmal auf seinen Tod hinweisend: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12,24) Jesu Weg ging durch Leid und Tod zum Leben. Er ist „hinabgestiegen in das Reich des Todes“, so bekennen Christen ihren Glauben. Er hat sich nicht gescheut, diesen „Ort“ aufzusuchen, sein Leben hinzugeben, damit ich leben darf. Er kennt die Nacht, die Kälte, die Angst, den Schmerz, die Gottverlassenheit. Wer Jesus nachfolgt, dessen Weg führt manchmal auch durchs Leid. Es gibt Situationen, da bekommt mein Lebensboden Risse, da bricht er schmerzhaft auf. Da spüre ich etwas vom Todesleiden Jesu am eigenen Leibe. Doch oft sind das auch die Zeiten, in denen Gott seinen guten Samen in mein Leben sät. Er ruht manchmal lange verborgen in der Erde. Aber in sich trägt er schon die Auferstehungskraft. Gott allein weiß, wann es Zeit ist, diesen Samen aufgehen zu lassen, ihn zum Leben und Blühen zu erwecken.
Im Leiden wie auch in der Auferstehung geschieht mit uns eine Verwandlung, verborgen und vorerst unbemerkt. Genau, wie die Auferweckung Jesu verborgen und in aller Frühe, noch mitten in der Nacht geschah. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt! So wird er auch uns auferwecken – zu seiner Zeit – aus allem, was in unserem Leben erstarrt und abgestorben ist. Und einmal wird er uns vom Tod zum Leben berufen, das kein Ende hat. Darauf dürfen Christen hoffen. Das dürfen sie glauben!
Auf jeden Fall werden wir geheimnisvoll verwandelt. Eine Verwandlung, die wir selbst nicht schaffen können. Wir können sie nur geduldig erhoffen und sie an uns vollziehen lassen. Schon hier und jetzt.
Die Kraft, die Jesus aus dem Grab auferstehen ließ, lässt auch uns auferstehen und aufblühen – dem Himmel entgegen. Christen dürfen wie Frühblüher sein. Blumen, die schon mitten im Winter aufblühen, die Hoffnung machen auf das ewige Leben, an denen andere Menschen sich erfreuen und durch die sie Kraft schöpfen können.